Motorradfahrer haben keine Knautschzone. Es gibt weltweit lediglich ein Serienmotorrad mit Airbag.
Motorradsicherheit bietet noch viel Entwicklungspotenzial.
Um die Sicherheit motorisierter Zweiradfahrer steht es eben nicht sonderlich gut. Jährlich sterben europaweit rund 6500 von ihnen. Es gibt weltweit lediglich ein Serienmotorrad mit Airbag, und die Entwicklung einer Airbag-Jacke zieht sich bereits seit einigen Jahren hin. Traktions- und Stabilitätskontrollen sind erst in Ansätzen vorhanden. Zwar beginnt ABS sich allmählich durchzusetzen, aber es stößt zum Beispiel in den motorradtypischen Schräglagen häufig noch an seine Grenzen. Wo etwas und was trotzdem für mehr Sicherheit auf dem „Bike“ getan werden kann, erforscht seit einigen Jahren die EU bei ihrem Projekt Aprosys (Advanced Protection Systems).
Im Crash-Test-Center von Dekra in Neumünster wurden in dieser Woche Ansätze und erste Ergebnisse des Projektes und anderer europäischer Initiativen vorgestellt. Sie reichen von neu konzipierten Helmen über einen speziellen Thoraxschutz und natürlich den Airbag bis hin zu speziellen Schutzsystem an Leitplanken.
Motorradunfälle haben meistens deutlich komplexere Abläufe als Autounfälle und gliedern sich auch nicht selten in zwei Phasen. Den eigentlichen Zusammenstoß und das Geschehen danach, bei dem sich der Fahrer in aller Regel von seinem Fahrzeug löst und ein zweites Mal (auf der Straße) aufprallt. Experten meinen, dass moderne Motorradbekleidung bis etwa 35 km/h einen einigermaßen effektiven Schutz bietet. Bei höheren Geschwindigkeiten sieht das Bild aber schnell anders aus. Bei einem Crash-Test auf der Dekra-Anlage wurde ein typischer Abbiegeunfall simuliert. Dabei stieß ein Rollerfahrer mit etwa 48 km/h im 45-Grad-Winkel auf ein stehendes Auto. Während der direkte Aufprall gar nicht so schwere Verletzungen hervorrief, wies der Dummy nach dem meterweit entfernten Aufschlag auf den Asphalt schwerwiegende Kopf- und Halswirbelsäulenverletzungen auf.
Soll europaweit nicht nur die Zahl aller Verkehrstoten generell, sondern auch die der tödlich verunglückten Motorradfahrer halbiert werden, sind einheitliche Testverfahren zur Entwicklung gemeinsamer Produktnormen nötig. Gerade hier hapert es noch. Die Parameter für Messerverfahren sind in den EU-Ländern nicht nur unterschiedlich, sondern oft auch völlig unzureichend. So geht die Schutznorm für Helme immer noch weitestgehend von einem frontalen Schlag gegen die Stirn aus, während Unfallforscher zum Beispiel längst auch das Kinn als besonders gefährdete Stelle lokalisiert haben.
Ähnlich verhält es sich mit dem Rumpf. Schutzkleidung konzentriert sich auf Kopf, Rücken, Hände und das Knie sowie die Schultern. Dabei ist auch der Thorax eines verunglückenden Motorradfahrers hohen Belastungen ausgesetzt. Mittlerweile helfen hochmoderne Computermodelle, wie sie zum Beispiel an der Universität München entwickelt wurden, die Verletzungsauswirkungen an einem virtuellen Körpermodell relativ realistisch nachzustellen und zu analysieren.
Zwei Ansätze entsprechender Produkte wurden in Neumünster vorgestellt. An der Universität Florenz wurde ein neuartiger Helm entwickelt, der die Kopfbeschleunigung und die auf das Kinn wirkenden Kräfte deutlich verringert. Eine wabenförmige Pufferzone zwischen Kinn- und Kopfschale des Helms absorbiert einen Teil der Aufprallenergie. Außerdem ist der Kinnriemen wie ein Sicherheitsgurt konzipiert, denn immer noch verlieren Motorradfahrer ihren Kopfschutz. Die Florenzer Forscher plädieren dafür, die derzeitige Prüfnorm ECE R22 den aktuellen Ergebnissen der Unfallanalysen anzupassen.
Noch in diesem Jahr will der italienische Bekleidungshersteller Dainese einen Thoraxprotektor auf den Markt bringen. Der „Brustpanzer“ soll weniger kosten als ein moderner Rückenprotektor und das Verletzungsrisiko in dem bislang wenig beachteten Bereich signifikant senken.
Bei Piaggio beschäftigen sich die Ingenieure ebenfalls intensiv mit der Unfallforschung und der Entwicklung sicherer Zweiräder. Dabei setzt der italienische Konzern vor allem auf seinen dreirädrigen Roller MP3. Er bietet mit seinem innovativen Konzept mehr Möglichkeiten für Sicherheitstechnik. So sind mit dem Fahrzeug bereits mehrere Airbagversuche durchgeführt worden. Erprobt werden soll auch ein Rückhaltesystem für den Fahrer.
Leitplanken stehen ebenfalls schon seit Jahren im Fokus der Motorradsicherheit. Immer wieder prallen Zweiradfahrer gegen die Pfosten oder rutschen unter den Planken hindurch. Die spanische Firma Hiasa hat inzwischen ein System entwickelt, bei dem ein recht flexibler Unterzug aus dünnem Stahl die Folgen eines Unfalls für einen Motorradfahrer deutlich minimieren kann, ohne das dies zu Lasten der Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geht. Auch in Deutschland war in der Vergangenheit eine motorradfahrerfreundliche Leitplanke entwickelt worden, die jedoch ihre Schutzfunktion für Autofahrer verloren hatte. Statt einen Pkw aufzufangen, wurde das Fahrzeug wegen der zusätzlichen unteren Schutzeinrichtung förmlich in die Luft katapultiert. ar/jens riedel
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