Bündnis der Tempolimit-Verfechter erwartet ab 2010 mehr Druck der EU für Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen.
Allianz Pro Tempolimit“: Raserei in Deutschland beenden, bevor die EU es tut. Bündnis der Tempolimit-Verfechter erwartet ab 2010 mehr Druck der EU für Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen – Verkehrsminister Tiefensee scheut bei nationaler Kampagne „Runter vom Gas!“ vor entscheidender Sofortmaßnahme zurück und verweigert Forschung zum Tempolimit – Hochgeschwindigkeitswahn kostet täglich Menschenleben – Tempolimit würde CO2-Ausstoß des gesamten deutschen Busverkehrs kompensieren
Der deutsche Sonderweg unbegrenzter Raserei auf Autobahnen neigt sich dem Ende zu. Wenn Politik und Automobilindustrie nicht aus eigener Einsicht zur Räson kommen, wird die EU-Kommission ab 2010 die „Initiative zur Harmonisierung der Höchstgeschwindigkeiten auf Europas Straßen ergreifen“. Davon geht die im November 2007 gegründete „Allianz pro Tempolimit – Für Verkehrssicherheit und Klimaschutz“ aus. Begründet wird die Erwartung mit Klimaschutznotwendigkeiten, aber auch mit dem Ziel der EU-Kommission, die Zahl der Verkehrstoten in allen Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2010 gegenüber 2000 zu halbieren. Dies sei in Deutschland kaum zu erreichen, ganz sicher nicht ohne allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Initiative kündigte an, alle Parteien im Bundestagswahlkampf 2009 mit dem Thema zu konfrontieren.
Trotz der in den letzten Jahren gesunkenen Zahl im Straßenverkehr getöteter Menschen bleibe „die von der EU bis 2010 geforderte Halbierung der Opferzahlen ohne eine konsequente Geschwindigkeitsbegrenzung auf allen Straßen pure Illusion“, erklärte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch. Im Jahr 2000 habe die Zahl der Getöteten auf deutschen Straßen bei 7.487 gelegen, im Jahr 2007 immer noch bei 4.970. Sie müsse jedoch bereits in zwei Jahren auf unter 3.750 zurückgehen, um das EU-Ziel zu erfüllen. Zwischenzeitlich gebe es in der Bevölkerung eine Mehrheit für ein Tempolimit, sagte Resch und forderte die Politik auf, „nun endlich ihre andauernde Angststarre vor der Macht der Autolobbyisten und der Bleifuß-Minderheit zu überwinden“. Solange Deutschland als einziges EU-Land auf ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen verzichte, werde keine Bundesregierung behaupten können, alles Erdenkliche für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger getan zu haben. „Der EU wird unter diesen Umständen gar nichts anderes übrig bleiben, als gegen Deutschland vorzugehen“. Darauf müsse sich auch die deutsche Autoindustrie einstellen. Statt immer mehr Mittelklasselimousinen auf die Straße zu bringen, die bei Tempo 250 km/h elektronisch abgeregelt werden, gehe es „auch im ureigenen Eigeninteresse der Hersteller darum, Autos herzustellen, die einen zivilen Umgang miteinander ermöglichen und die die Welt ökologisch verkraftet“.
Polizeidirektor Martin Mönnighoff von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster kritisierte die kürzlich von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee gestartete nationale Kampagne „Runter vom Gas!“ als „halbherzig und nicht zu Ende gedacht“, solange der SPD-Minister der entscheidenden Frage von Geschwindigkeitsbegrenzungen ausweiche und damit nicht nur die eigene Partei brüskiere. Die SPD hatte sich beim Parteitag in Hamburg erst vor wenigen Monaten mit klarer Mehrheit für ein Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen. Eine Analyse der Verkehrsopferzahlen des Jahres 2007 bestätige erneut, dass „zu hohe Geschwindigkeiten auf allen Straßen das mit Abstand größte Verkehrssicherheitsproblem in Deutschland darstellen“. Für ihn sei unverständlich, dass Tiefensee weiter vor den Tatsachen den Kopf in den Sand stecke. Ein Tempolimit auf Autobahnen sei geeignet, die beispiellosen Geschwindigkeitsdifferenzen zu begrenzen und gleichzeitig das Verkehrsklima insgesamt zu entspannen. Mönnighoff: „Die Erfahrung zeigt: Wer auf Autobahnen rasen darf, hält sich auch auf Landstraßen an keine Geschwindigkeitsbegrenzung.“
Auf deutschen Autobahnen sterben wegen überhöhter Geschwindigkeit jedes Jahr immer noch über 300 Menschen, davon mehr als 200 auf Streckenabschnitten ohne Tempolimit. Daran erinnerte der verkehrspolitische Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD), Gerd Lottsiepen. Darüber hinaus spreche sich mittlerweile auch in Deutschland herum, dass die grenzenlose Raserei auf kaum einem Promille des weltweiten Straßennetzes nicht nur Sofortopfer fordert. Eine unmittelbare Folge des Tempowahns bestehe darin, dass hierzulande neben Schweden die europaweit klimaschädlichsten Pkw gebaut und in alle Welt verkauft werden – was wiederum die Klimaerwärmung anheize. Auf Basis vorliegender Daten ergebe sich rechnerisch bei einem Tempolimit auf Autobahnen von 120 km/h eine kostenfreie CO2-Minderung von rund 3,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspreche der CO2-Last, die der gesamte Busverkehr in Deutschland verursache.
Lottsiepen nannte es „einen Skandal, dass die zuständigen Bundesminister bis zum heutigen Tag keinen einzigen neuen Forschungsauftrag zu den Effekten von Tempolimits erteilt haben.“ Verkehrsminister Tiefensee weigere sich sogar, die derzeit auf den Autobahnen tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten zu erfassen und zu veröffentlichen. Daraus könnte jedoch das Umweltbundesamt zumindest die Umweltfolgen der Raserei ermitteln. „Wolfgang Tiefensee will kein Tempolimit, also wird auch nicht geforscht. Rabiater kann man die Wünsche der Bevölkerungsmehrheit und die Entscheidung der eigenen Partei kaum mit Füßen treten“, kritisierte Lottsiepen. Die Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas!“, die sich um die Sofortmaßnahme Tempolimit herumdrücke, habe Feigenblattcharakter. „Es ist so hart wie es klingt: Tiefensee verweigert sich einer Maßnahme, die geeignet wäre, ab sofort jedes Jahr etwa 200 Menschen das Leben zu retten und tausende schwere Verletzungen zu verhindern.“
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, der inzwischen den Tempolimit-Beschluss seiner Partei nach einigen Pirouetten öffentlich vertritt, forderte die „Allianz pro Tempolimit“ auf, den „Umwelteffekt einer Geschwindigkeitsbegrenzung nicht länger klein zu reden“. In den Spritspartipps des Volkswagenkonzerns könne er nachlesen, dass Tempo 130 km/h im Vergleich zu 150 km/h zwei Liter Kraftstoff pro hundert Kilometer spart – das entspricht etwa 50 g CO2 pro Kilometer.
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